Letzten Samstag konnte ich Google Glass, die neue “Wunderbrille” von Google testen. Kurz vorab: Die Brille fühlt sich an wie eine normale (Sonnen-)brille. Das Gewicht des Akkus ist mir nicht aufgefallen. Ob das bei sehr langer Tragedauer auch noch so ist kann ich nicht sagen. Ich testete die Fotofunktion und die grundlegende Bedienung.
Die Bedienung von Google Glass:
Google Glass ist derzeit nur mit englischem Benutzermenü verfügbar. Das sollte für die meisten kein Problem sein. Sobald es zu einem Marktstart in Deutschland kommt bin ich 100% sicher, dass Google die Benutzeroberfläche auch übersetzt. Denn: Das Menü ist extrem schlank und sehr übersichtlich. Es gibt gefühlt nur 5 Menüpunkte. Die Benutzung erfolgt über Sprachsteuerung. Man startet einen Steuerbefehl mit den Worten “OK Glass”. Anschließend sagt man was man will z.B: “Take a picture”. Das hat auf anhieb sehr gut funktioniert obwohl ich kein englischer Muttersprachler bin. Auch in einer windigen Umgebung hat die Spracherkennung zuverlässig funktioniert. Super!
Ein Nachteil ist, dass das Mikrofon zur Spracherkennung derzeit jeden Befehl annimmt, also auch Befehle von Personen die in direkter Nähe des Google Glass Trägers sind. Hier muss Google noch einen Mechanismus entwickeln, damit nur der Besitzer der Brille, diese auch steuern kann. Bei zunehmender Verbreitung wäre Glass sonst das reine Chaos. Stellt euch vor, dass Glass so verbreitet ist wie nun die Android Handys. Nun sitzen 30 Leute im Zug, davon 20 mit Google Glass. Wenn einer nun einen Befehlt zum Fotografieren gibt, machen plötzlich alle 20 in direkter Nähe ein Foto. Das wäre, naja, ungut.
Gibt man Glass den Auftrag im Internet zu suchen, so geschieht das sehr schnell (und natürlich nicht bei Bing, sondern auf Google.com). Aber…
Beschränkungen von Google Glass
Mir fallen spontan vier Punkte ein:
1. Privatsphäre.
Bleiben wir beim Beispiel der Google Suche. Wer auf der Straße läuft und einen Arzt sucht, der spricht mit Glass z.B. “Search Uruloge in Stuttgart”. Na prima. Das wollten alle Umstehenden wissen 🙂
Auch wer eine Nachricht diktiert, der liest den Text laut seiner Umgebung vor. Bei unkritischen Sachen wie “Ich bin 15 Minuten früher Zuhause.” ist das kein Problem. Oder in privaten Umgebungen wie im eigenen Auto (ohne fremde Mitfahrer) oder Zuhause ist das kein Problem.
2. Akku
Der Akku hält aktuell bei Dauernutzung ca. 2-3 Stunden. Im Alltag reicht das natürlich nicht aus. Denken wir nur daran, wie oft wir heutzutage unsere Smartphones im Einsatz haben. Ein Tag ist Minimum. Google hat aber noch Potential, da der Akku momentan nur einseitig verbaut ist. Es wäre also ein leichtes, die Laufzeit zu verdoppeln. Alternativ kann Google auch so futuristische Zukunftstechnologien wie Witricity einsetzen. Das ist die drahtlose Übertragung von Strom. “Over the air” sozusagen. Protypen gibts seit 3 Jahren. Ein Akku im Schuh, in der Handtasche/Hosentasche platziert und das Gewicht des Akkus wäre elegant verlegt.
3. Kein Mobilfunkmodul
Derzeit hat Glass nur WLAN. Wir alle wollen aber ganz klar auch ein Mobilfunkmodul. Dass das den Akku noch schneller leersaugt ist klar. Aber Stand heute, muss man für die Nutzung von Glass, sich in einem WLAN aufhalten also Zuhause, im Auto (wer da schon In-Car WLAN hat) oder alternativ hat man ein Smartphone mit WLAN Hotspot in der Tasche. Dass damit auch der Akku von Smartphone noch schneller leer ist, ergibt sich automatisch.
4. Preis
Zum Preis von Glass (ca. 1500 USD) bekommt man aktuell ein Smartphone UND eine aktuelle DSLR von Canon oder Nikon. Beide Geräte zusammen können deutlich mehr als Glass sind aber auch deutlich komplexer in der Bedienung und schwerer.
Ist Google Glass für Fotografen geeignet?
Nun zur spannendensten Frage für die Leser meines Blogs: Was taugt Google Glass für uns Fotografen?
Die kurze Antwort: Google Glass hat jetzt schon das Potential, unsere Handybilder zu ersetzen!
1. Bildauflösung
Mein getestetes Modell hatte eine Auflösung von 2528 x 1856 . Das ergibt 4,6 Megapixel. Also auf dem Niveau der meisten Smartphone aus dem Jahr 2012/2013. Gut! Nicht so gut, ist dass Google mit 5 Megapixel wirbt. Habe ich falsch gerechnet, oder hat Google hier 0,4 Megapixel unterschlagen?? Das sind immerhin 8% weniger Leistung als angegeben.
2. Blende, Zeit, ISO und Brennweite
Meine Testfotos wurden bei Blende f2,5 , ISO 68 und eine Verschlusszeit 1/1000 bis 1/580 gemacht.
Das sieht ganz danach aus, als ob es sich um eine fixe Blende handelt (wie z.B. bei der GoPro und vielen Aktionkameras). Der kleine Blendenwert ist von der Tiefenschärfe her kein Problem, da wir ja von einem winzig winzig kleinen Bildsensor sprechen. Somit gibt es de fakto NUR Schärfe und kaum Unschärfe.
Als Brennweite stehen 2,95mm in den Metadaten.
3. Bildqualität
Die Bildqualität ist schlichtweg als sehr gut einzustufen! Ein Smartphone macht auch keine besseren Bilder. Wer eine höhere Bildqualität benötigt, greift weiterhin zur Spiegelreflex oder Systemkamera mit großem Bildsensor. Aber wir reden hier von einer Brille. Für den alltäglichen Schnappschuss ist sie vollkommen ausreichend. Bei aktuell 16 GB Speicherplatz (davon 12 GB nutzbar) kann man ca. 3.750 Bilder speichern!
Hier könnt ihr ein Beispielbild in voller Auflösung herunterladen: (rechtsklick aufs Bild und “speichern unter” der Download hat 3,2 MB)
4. Einsatz mit Lightroom
Lightroom 5.3 erkennt Google Glass und importiert das Foto anstandslos. Es handelt sich natürlich um ein JPG. Wer sich RAW Fotos gewünscht hat, muss weiterhin zu einer “vollwertigen” Fotokamera greifen. Alle Metadaten werden erkannt. Außer: Objektivtyp, Seriennummer der Kamera und GPS Daten. Schade! Gerade hier hatte ich erwartet, dass Glass wie ein Smartphone auch die GPS Daten mitspeichert.
Fazit: Wir Google Glass die DSLR / Spiegelreflexkamera ablösen?
Provokante Frage. Die Antwortet lautet: Natürlich nein!
Die eigentliche Frage ist, wann und zu welchem Preis wird Glass verfügbar sein. Ich vermute, dass Google auch hier eine schnelle Marktmacht aufbauen will. Demzufolge wird der Preis noch deutlich gesenkt werden. Vermutlich wird der Preis sich im Rahmen von Markenbrillen bewegen. Also vermutlich 300 bis 600 Euro für das Brillengestellt zuzüglich eventueller Korrekturgläser. (achja, eine Brille war ja zum scharfen sehen da :-)) Anscheinend soll bereits im April 2014 (also diesen Monat!) der Marktstart für uns normale Verbraucher sein!
Mein Fazit ist, dass das Produkt schon sehr weit gereift ist und nach ein paar Detailverbesserungen würde ich sofort zugreifen. Und anschließend bald dem Smartphone “Lebewohl” sagen!